Dass nach zehn Jahren des Nichtvermissens kürzlich noch einmal die Tempo erschien, hat großen Widerhall gefunden. Kein Wunder. Viele derjenigen, die heute in den Redaktionsstuben oder vor den Blogmaschinen sitzen, haben damals wichtige Sozialisationsjahre über der Tempo verbracht. Dennoch war das Ich-Ich der Tempo in nur wenigen Nachrufen zu lesen, an das eigene Leserdasein wurde nur wenig erinnert, stattdessen dozierte die Zunft darüber, warum die Jubiläumsausgabe nicht rockte, warum das Konzept Tempo nie funktioniert hat und nie funktionieren konnte.

Von der Jubiläumsausgabe war ich nicht wirklich enttäuscht, ich habe einfach nicht mehr erwartet. Für die zwei Jahre in den Achtzigern, die ich die Tempo las, bin ich nach wie vor dankbar. Danach abonnierte ich den Spiegel. Tom Schimmeck schrieb gerade erst in der taz (gefunden über medienrauschen‘), wie es sich anfühlt, durch die Lektüre einer Zeitschrift postpubertäre Beschränktheiten aufzubrechen. („Ich […] fand dieses Blatt so bewundernswert, dass ich mich als junger Mann in den Siebzigern des Nachts regelmäßig in den Haufen der Hamburger Altpapiersammlung wiederfand.“) Sein „Fan“dasein fing gleich mit dem Spiegel an, und sein Beitrag in der taz handelt eigentlich davon, wie gründlich er anschließend desillusioniert wurde.

Zurück zur Tempo. Den Biller hatte ich dann irgendwann einfach dicke. Auch der Spiegel war nur vorübergehend. Und selbst Spiegel Online befindet sich mittlerweile in einer fortgesetzten Verdauungsstufe. Aber was ist von alledem geblieben? Was ist von der Tempo geblieben? Meine Bewunderung für Ralph Steadman! Und die Lektüre von Herbert Genzmer! Steadman kennt man vielleicht noch. Zu dritt fuhren wir nach Hannover ins Wilhelm-Busch-Museum. Ende der Achtziger. Drei Schüler in der großen Stadt, das bleibt im Gedächtnis. Erst kürzlich habe ich Steadman wiederentdeckt. Ich mag ihn. Immer noch. Das wird wohl auch so bleiben.

Herbert Genzmer kennt bestimmt niemand. Auch ich hatte lange nichts von ihm gehört und das Erscheinen der Tempo-Jubiläumsausgabe genutzt, um ihn zu googeln. Herbert Genzmers Buch Freitagabend wurde ein paar Tempo-Ausgaben vor oder nach dem Hinweis zur Steadman-Ausstellung besprochen. Als Gruselgeschichte. Gruselig war sie dann nicht, Genzmer erzählte aber auf eine Weise, die mich faszinierte. Sieben Romane bzw. Erzählungen las ich von ihm, und Google erzählte mir nun vom achten, das nicht einmal Amazon kennt. Genzmer hat keinen Verlag mehr gefunden.

„Genzmer hat sich in einer langwierigen Auseinandersetzung mit Suhrkamp überworfen, dann wechselte er zu einem Hamburger Verlag, der Pleite ging. Jetzt sucht er einen neuen Verlag, doch die Lektoren brauchen ob der Flut an Manuskripten elend lange, um die Texte zu begutachten“, schrieb buecher-magazin.de und veröffentlichte gleich eines der Manuskripte unter dem Titel „Nachtblau“ in der eigenen edition bücher. Es kostet ein paar Euro mehr als die Selbstbeweihräucherung der Tempo, nämlich 9,80 Euro, aber in meiner Erinnerung wird es einen weitaus größeren Raum einnehmen. Es ist schade, dass sich die Aufmerksamkeit der Menschen immer wieder so ungerecht verteilt. Genzmer hätte mehr verdient.