Ich habe immer gedacht, introvertiert sei man, wenn man nach innen gekehrt sei und leise, und extrovertiert, wenn man stattdessen die Außenwelt lautstark an seinen inneren Befindlichkeiten teilhaben lässt, lassen muss. Wer dies ähnlich formulieren würde, weiß bereits, dass ich zusammenzucke, wenn neben mir in der Bahn jemand plötzlich in sein Handy brüllt. Das ist nicht nur unhöflich, sondern hält mich auch vom Lesen ab. Meine Konzentration ist futsch. Introvertiertheit und Extrovertiertheit ist nicht primär eine Frage von laut und leise, sondern ob mich solche Situationen Kraft kosten oder nicht.

Das eigentlich knappe Gut während eines Tages ist nicht Zeit, sondern Energie. Wer sich anstrengt, muss sich erholen. Manch einen zieht es nach einem Arbeitstag zur After-Work-Party, andere wiederum auf das heimische Sofa, am besten allein, zumindest ein, zwei Stunden, bis man wieder genug Kraft gesammelt hat. Introvertiertheit und Extrovertierheit ist auch eine Beschreibung dafür, ob man in ungewohnter Umgebung Energie eher verliert oder gewinnt.

Das Blog Dale Thoughts, ich habe es bereits kurz vorgestellt, hat sich unter anderem Introvertiertheit zum Thema gemacht. In der letzten Woche erschien ein neuer Beitrag. Dale schreibt, er sei kein „Joiner“, sondern jemand, der nicht so schnell zu begeistern ist, sich nicht sofort und allem und jedem anschließt. Das könnte ja auch dran liegen, dass das Lockende nicht ganz so reizvoll ist, schließlich muss man nicht jeden Scheiß mitmachen. Deshalb ist der Begriff „Joiner“ auch interessant gewählt. Man macht mit oder nicht. Hierzulande hat man diese Wahl meist nicht, schnell ist man Skeptiker oder Miesepeter. Das hat schon eine deutlich negative Note.

„I can’t bring myself to fake enthusiasm.“

Doch jetzt lasse ich erst einmal Dale zu Wort kommen: „I get excited about ideas and visions for the future, but when other people try to persuade me that their vision is correct and I should get on board, I’m highly resistant.“ Und: „I’m fairly good at getting an initial job interview. I have a high fail rate at that point. […] I can’t bring myself to fake enthusiasm.“

Er lässt sich nicht so leicht anstecken, es widerstrebt ihm, wenn andere ihn mitreißen wollen. Ich kenne das. Ein Freund sagt ziemlich oft: Das ist dem Peter zu weltlich. Dabei bin ich den Genüssen des Lebens gar nicht abgeneigt. Ich muss nur nicht ständig Neues ausprobieren. Ich weiß doch, was mir gefällt und gut tut. Dale: „Being a non-joiner is a personality trait. You can’t change it. It’s closely related to introversion and may be a sub-trait of introversion“.

Solche Leute machen gerne alleine Sport, arbeiten gerne abgeschirmt und ohne Unterbrechung, fühlen sich in kleineren Gruppen wohl. Also Joggen statt Basketball, Journalismus statt PR-Arbeit und Karten spielen mit Freunden oder einen Kaffee trinken gehen statt Open-Air-Konzert mit Zelten im Schlamm.

Ein Kult um sich selbst

Schwierig werde es immer dann, wenn die Begeisterung vorausgesetzt wird. Gerade in Startups werde oft ein Kult um sich selbst getrieben. Für Dale sind Startups immer wieder ein Thema, er sucht Erfahrungen in diesem Bereich, um (so scheint es) irgendwann selbst ein eigenes Unternehmen zu gründen.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die Geschäftsführer und Eigner einer Redaktion, die ich geleitet habe, im Flur einen Kicker aufstellten, aufstellen ließen (ich habe ihn zusammengeschraubt), um dann hinterher die Regel zu erlassen, dass während der Hauptarbeitszeit nicht gekickert werden darf, weil es die Redakteure vom Schreiben abhält.

Die Jungs haben mir erzählt (nicht nur mir), sie wollten in Deutschland Marktführer werden und dann schließlich auch China erobern. Anstatt bloß die Augenbrauen hochzuziehen, hätte ich dort nie anheuern sollen. Obwohl – das war eine gute Erfahrung, auch der Austestung meiner eigenen Grenzen wegen, und sorgt im Rückblick immer noch für einige Heiterkeit.